Sonntag, 17. März 2013

Ein Spaziergang im oberen Barranco de Arguineguín, um dabei das SEHEN und ERKENNEN zu üben (3) The Videos (II)


Das mit der Promenadologie lässt mich nicht mehr los, seitdem Vilaflor mir Literatur dazu zusammengestellt hat und ich mich mit den Thesen dieser faszinierenden Wissenschaft beschäftigt habe.
Sind wir überhaupt noch zu heilen?
Ich werde total nachdenklich, wenn ich sowas lese:
Die Welt wieder in die Köpfe zurückholen

Mit der Eisenbahn habe alles angefangen. Dadurch, dass der Mensch sich viel schneller durch die Umwelt bewegt habe, habe sich sein Blick zwangsläufig verengt. „Selbst wenn er spazieren geht, entgehen dem modernen Menschen Details, die seinen Vorfahren mit Sicherheit aufgefallen wären“, glaubt Schmitz. Auto und Billigflieger sowie Google Earth und GPS hätten diese Entwicklung schließlich auf die Spitze getrieben. Der Mensch würde sich zwar immer besser zurechtfinden, würde dabei aber viel weniger sehen. Dem will die Promenadologie entgegenwirken. „Es geht darum, die Augen zu öffnen und die uns umgebende Welt wieder in die Köpfe zurückzuholen. Die Menschen müssen einfach dieses Naturkino, zum Beispiel Wetterveränderungen, wieder wahrnehmen“, erklärt der Diplomingenieur.
...
Promenadologie: Wie spaziere ich richtig? - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/wissen/mensch/campus/promenadologie_aid_125786.html
Ein Spaziergang ist eine Perlenschnur, die von einem bemerkenswerten Ort – den Perlen – zum nächsten führt.
Auf den neutralen Strecken dazwischen überlegt man sich, wie wohl der nächste bemerkenswerte Ort aussehen werde. Normalerweise bereitet der vorangegangene Ort auf den nächsten vor. Da unsere Landschaft in Zonen organisiert ist, folgen sich die Orte in einer logischen Ordnung: der Uferwald, die Dünen, der Strand, das Meer…
Die Windschutzscheiben-Wahrnehmung
und ihre Folgen.
Das Spazierengehen ist die „natürlichste“ Art, sich eine Landschaft oder Stadt zu erschließen. Allerdings spazieren wir heute nur noch selten durch die Welt; selbst wenn wir wandern wollen, steigen wir zunächst einmal ins Auto, das uns in den Wald oder auf den Berg bringt. Angesichts einer stetig wachsenden Mobilität, dem großzügigen Ausbau der Autobahnen, Bahn- und Flugverbindungen hat sich nicht nur unsere sichtbare Umwelt verändert, sondern im gleichen Maße auch die Art, wie wir sie wahrnehmen und gestalten.
Wir sind mobil wie nie zuvor: Hochgeschwindigkeitszüge rücken Städte und Regionen näher zusammen, das Flugzeug bringt uns in wenigen Stunden zu fernen Kontinenten. Wir sehen die Welt im Schnelldurchlauf.
Dabei beruht Wahrnehmung auf dem kinematografischen Effekt eines Spaziergangs, wie es schon die englischen Landschaftsgärtner mit ihren Rundwegen und angelegten Perspektiven wussten. Einzelne Sequenzen des Gesehenen werden im Kopf abgespeichert, und wir sprechen, nach Hause zurückgekehrt, von typischen Landschaften, Städten und Regionen.
Wer schnell fährt, hat keinen Blick für das Detail. Und schon gar nicht für Schönheit, die sich im Verborgenen offenbart.
 Landschaft ist ein kollektives Bildungsgut, geschaffen von römischen Dichtern, den Malern der Spätrenaissance und englischen Gärtnern. Um uns Landschaft anzueignen, müssen wir heute aber nicht mehr lesen oder ins Museum gehen: Uns zeigen Reiseprospekte, Zigarettenreklamen oder Schokoladenpackungen, wie wir uns eine bestimmte Landschaft vorzustellen haben. Und jeder sieht, was er zu sehen gelernt hat. Als Neil Armstrong auf dem Mond landete, funkte er zur Erde, was er auf dem Mond sah: natürlich eine Landschaft „wie im Grand Canyon“. Dafür hätte er nicht so weit fliegen müssen! Wohin wir auch reisen: Wir bringen unsere Bilder schon mit.
Vor einigen Wochen fischte ich einen Prospekt aus dem Briefkasten, der zwei Wochen Sommerurlaub mit Sonne, Strand und Meer versprach. Nicht ungewöhnlich, und doch war es seltsam: Die Pauschalangebote verrieten nicht, in welches Land die Reise gehen sollte! Das hätte man früher für einen Druckfehler gehalten. Heute jedoch spielt die Geografie bei der Wahl des Ferienortes offenbar nur noch eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehen klischeehafte Vorstellungen von einer Bilderbuchlandschaft, die zur Bilderbucherholung taugt. Angesichts monotoner, austauschbarer Innenstädte und betonierter Landschaften in unserem Alltag nimmt die Sehnsucht nach den idyllischen, intakten Bildern unserer Vorstellungswelt zu. Und das nicht nur zur Urlaubszeit. Schlösser und Nachbildungen alter Bebauung sollen derzeit unter anderem in Berlin und Frankfurt am Main entstehen.

Selten verlassen wir den virtuellen Raum der Postkarten- und Prospektwelt. Selten weichen wir auf dem Weg von A nach B von der Strecke ab. Viel zu selten schauen wir hin. „Die Spaziergangswissenschaft,“ so Lucius Burckhardt, „sucht den Ort und das Lebendige auf, versucht sich darin, das Betrachten wieder zu entdecken. Betrachten heißt, neue Blickwinkel erschließen, Sehweisen ausprobieren, Ungewohntes wahrnehmen.“

Wir kommen zu den letzten fünf Videos der Tour.

Aus einem Garten vor Barranquillo Andrés aufgenommen. Ein Linksschwenk über den Barranco und sein Umfeld.



Jetzt mal der Rechtsschwenk, aber etwas langsamer. Kann man schon Unterschiede bemerken? Vilaflor behauptet, dass könne man, wenn man gelernt habe, zu SEHEN und danach zu ERKENNEN.



Der Blick in den Barranco-Grund und hinüber nach Huesa Bermeja. Die wahre Größe der Barranco-Wände wird recht klar.



Auf dem Rückweg noch einmal die Aussicht von einem beliebten Aussichtspunkt nahe der Straße.



Zum Schluss noch ein intensiver Blick auf den Barranco-Grund. Dort unten wächst wirklich ALLES!



Die Spaziergangswissenschaft harrt noch der endgültigen Definition. 
Ihr Ausgangspunkt ist eine realistische Haltung zur Wahrnehmung und Wirklichkeit. 

Nach der Wunschvorstellung der Planer nimmt der Nutzer/Spaziergänger eine Umgebung so wahr, wie sie vom Planer konzipiert ist: die Stadt als 'animierend', die Erholungslandschaft als 'entspannend', usw. Der Spaziergangswissenschaftler aber studiert ohne vorgefaßte Meinung und an sich selbst - nicht an 'Betroffenen' - den Aufbau der Wahrnehmung eines Ortes. Dabei ergibt sich zunächst folgendes: Die vom Planer hergestellten 'Bilder' existieren nicht. Vor Ort sieht die Welt ganz anders aus. 

Keine Ahnung, ob ich das alles richtig verstanden habe.
Wie ist es mit Ihnen?

Bevor ich auf den Veröffentlichungs-Button drückte, - ich schrieb den Entwurf schon am Freitag - habe ich Vilaflor eine E-Mail geschrieben und gefragt, was er denn dazu sagt.

Prompt kam eine Antwort, die mich aber auch wieder unsicher macht.

Vilaflor: "Als Aufhänger ist der Spaziergang zwischen Soria und Barranquillo Andrés schon recht gut. Das ist schon eine verhältnismäßig "heile Welt" dort oben in den Bergen. Die Bilder habe ich ja völlig subjektiv gemacht und ich habe mir bei jedem etwas gedacht. Immer war ich bemüht, ganz genau hinzuschauen. Häufig hatte sich von Videoschwenk zu Videoschwenk schon etwas verändert. Die Wolken, der Wind, das Licht.......... Keine Ahnung, ob das jemand bemerkt."
 "Meseta, Du musst das oben Ausgeführte jetzt alles mal auf den Fall MASPALOMAS übertragen.
Was passiert denn da häufig? Die Leute buchen zu Hause, weil im Prospekt ein riesiges Dünengebiet, die Dunas de Maspalomas,  zu sehen sind. Dann kommen sie an und sehen nur die Dünen, vielleicht auch noch vom Café Mozart im ANEXO II aus. Das ganze Umfeld nehmen sie gar nicht mehr wahr. Bei jedem Kameraschwenk zwischen Meer, Dünen und Hintergrund müsste man doch sofort anhalten, wenn die Bebauung von Playa del Inglés in das Bild gerät.
Was ist das denn für ein Wahnsinn, müsste man doch sofort rausschreien.
Das machen dort aber die Wenigsten! Die sehen es nämlich nicht, die sind blind,  haben die Prospektdünen im Kopf und nicht das hässliche Beton-Ghetto, welches ja die Dünenlandschaft zu 80% entwertet.
Wer hat das denn geplant, müsste man fragen.
Hat das überhaupt jemand geplant? Hat da jemand nachgedacht? Haben die einfach irgendwas um die Dünen gebaut, was als "Schlafplatz" durchgeht und das musste vermutlich so unkompliziert wie möglich und ganz schnell dort hinzustellen sein. So sieht das doch alles auch aus! Oder nicht?
Man kann dies mit RECHT als ein VERBRECHEN bezeichnen, was dort gemacht wurde.

Letztlich bleibt nur eine zentrale Frage: 

WIE SIEHT DIESE WELT VOR ORT TATSÄCHLICH AUS?

Ganz einfach: 

Total beschissen und daran ändern auch die Dunas de Maspalomas nichts, die im Vergleich mit den Dunas de Corralejo übrigens eher klein sind, in den Hochglanzprospekten der Reisemultis aber wie die Sahara erscheinen".

Wahnsinn, jetzt bin ich total perplex!