Freitag, 24. April 2009

Küstengesetz (Teil 3)

Ich hatten bisher u.a. einen Blick auf das Verfahren zur Einrichtung der Schutzzonen nach dem Küstenschutzgesetz und die Regelungen zur Begrenzung von Eigentümerrechten geworfen.

Wenn durch ministeriellen Beschluss eine Schutzone festgelegt wurde, dann stellt sich häufig die Frage, ob die betroffenen Eigentümer eine Entschädigung verlangen können.

Im Kern geht es immer um folgende Problematik:

Liegt eine entschädigungspflichtige Enteignung vor oder wird nur die Sozialpflichtigkeit des Eigentums konkretisiert?

Die Beantwortung dieser Frage führt direkt zur Grundrechtsdogmatik.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Regelungen des Grundgesetzes, denn die haben betroffene deutsche Eigentümer häufig im Auge, wenn ihr Grundstück in Spanien von den Regelungen des Küstenschutzgesetzes betroffen ist.

Art. 14 GG
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.


Das muss ein wenig näher beleuchtet werden.
Der Schutzbereich des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes jedes vermögenswerte Recht, das einem Einzelnen privatnützig zur ausschließlichen Nutzung durch das einfache Recht zugewiesen ist.

Den Gesetzgeber trifft demnach der Auftrag, den Inhalt des Eigentums durch förmliche (Parlaments-)Gesetze zu bestimmen. Das bedeutet, dass der Inhalt des Eigentumsrechts nicht für alle Zeit feststeht, sondern vom Gesetzgeber geändert werden kann.

Hierin besteht das Dilemma.

Art. 14(1)1 soll einerseits als Abwehrrecht gegen den Staat fungieren, anderseits ist es jedoch zugleich die Aufgabe des Gesetzgebers, den Inhalt des Eigentums zu bestimmen. Dies birgt die Gefahr einer schleichenden Entleerung des Inhalts des Eigentums durch den Gesetzgeber.

Um diesen vorzubeugen, schafft die Institutsgarantie des Eigentums die Bindung des Gesetzgebers an durch die Verfassung vorgegebene Wesensmerkmale des Eigentums (Gewährleistung des Eigentums).

Diese sind die Privatnützigkeit, die grunds. freie Verfügungsbefugnis sowie die Junktimklausel bei Enteignungen. Dadurch soll die Sicherung eines Freiheitsraumes im vermögensrechtlichen Bereich gewährleistet werden.

Dennoch ist das Eigentum gem. Art 14(2) GG sozialgebunden (es besteht z.B. kein Recht auf Umweltverschmutzung). Weiterhin gilt grundsätzlich die Bestandschutzgarantie, wonach konkret bestehende Eigentumspositionen geschützt sind. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in das Eigentum erfolgt je nachdem, welche Art des Eingriffs vorliegt. Die Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt, das zugleich die Entschädigung regelt (Junktimklausel, Art. 14 Abs. 3 GG).

Für die schlichte Inhalts- und Schrankenbestimmung hingegen gilt nur ein einfacher Gesetzesvorbehalt (Art. 14 Abs. 1 GG).

Ob das Küstenschutzgesetz als "enteignendes Gesetz" den Anforderungen des Art. 14 GG standhalten würde, kann stark bezweifelt werden. Man könnte aber durchaus so argumentieren, dass die Grenzziehung nach dem Küstenschutzgesetz gar keine Enteignung ist, sondern die Konkretisierung einer Eigentumsbegrenzung aus der Sozialpflichtigkeit.

Um es gleich vorwegzunehmen, das spanische Verfassungsgericht hat bereiits in einer Entscheidung vom 04.07.1991 im Hinblick auf das öffentliche Eigentum der Meeres-Strandzone die Unbebaubarkeit der Strände und der Meeresschutzzone als Sozialbindung des Eigentums angesehen.

Die "Entschädigung" nach den Übergangsvorschriften des Küstengesetzes, z.B. durch Einräumung einer zeitlich beschränkten Nutzungskonzession (2 x 30 Jahre), sah das Gericht als in der Regel ausreichend an.

Wie ist das möglich?

Liebe Altdeutschen, jetzt werdet ihr aber staunen:

Der heutige spanische Eigentumsbegriff hat seine Wurzeln in der Verfassung der Spanischen Zweiten Republik von 1931, für die wiederum die Verfassung des Deutschen Reiches von 1919 als Vorbild diente.

Artikel 33 der spanischen Verfassung von 1978 erkennt das Privateigentum ausdrücklich an.
Eine Beschränkung des Inhalts des Eigentums aufgrund der sozialen Funktion dieses Rechts ist aber in Abs. 2 auch geregelt.

In Deutschland würde man das Sozialbindung des Eigentums nennen.
Im dritten Absatz des Artikel 33 ist eine Entschädigungspflicht bei Enteignung aus berechtigten Gründen des öffentlichen Nutzens oder gesellschaftlichen Interesses geregelt.

Was genau Eigentum ist, regelt der zivilrechtliche Eigentumsbegriff des spanischen Código Civil (Artikel 348 I CC).
Danach ist Eigentum das Recht, seine Sache zu nutzen und über sie zu verfügen, soweit Gesetze dies nicht einschränken.
Artikel 33 Abs. 3 der spanischen Verfassung enthält also eine Enteignungsermächtigung mit Entschädigungsgarantie. Unter Enteignung wird der gesamte oder teilweise Entzug bestimmter Eigentumsgegenstände verstanden, wobei der Entzug durch Gesetz oder durch Verwaltungsakt erfolgen kann. Der Eigentümer kann im Falle der Enteignung eine Entschädigung verlangen.
In jedem Einzelfall muss daher geprüft werden, was als Enteignung anzusehen ist und was als eine entschädigungslose Eigentumsbegrenzung aufgrund der sozialen Funktion des Eigentums zu betrachten ist.
Handelt es sich NUR um eine Eigentumsbegrenzung aufgrund der sozialen Funktion des Eigentums, so liegt nach spanischem Verständnis KEINE entschädigungspflichtige Enteignung vor.

Unterscheiden sich der spanische und der deutsche Eigentumsbegriff und wenn ja, worin?

Sie unterscheiden sich in einem Punkt wesentlich: Der spanische Verfassungsbegriff des Eigentums geht offenbar von einem Vorrang der sozialen Funktion des Eigentums gegenüber dessen Privatnützlichkeit aus.

Das ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang.
Das deutsche Grundgesetz kennt keinen unterschiedlichen Schutz der Grundrechte.
Die spanische Verfassung schaffte drei Klassen von Grundrechten, die unterschiedlichen Schutz genießen.

Das spanische Eigentumsrecht gehört zu zweiten Klasse mit NUR mittlerem Schutz. Es wird nicht zu den Basisgrundrecht gezählt.
Der Artikel 33 der spanischen Verfassung betont die "soziale Funktion" des Eigentums, gibt ihm damit einen Doppelcharakter.
Einerseits ist es ein Recht des Einzelnen und andererseits stellt es einen Pflichtbeitrag zum Gemeinwohl dar.
Durch Art. 132 und 45 der spanischen Verfassung stehen dem Privateigentum bedeutende andere Werte entgegen, die gleichfalls Verfassungsrang besitzen.

Das gilt für das Recht aller am Meeresstrand und den Umweltschutz. Der Staat muss im Kollisionsfall das Verhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern regeln.
Das hat er durch das Küstenschutzgesetz getan. Der spanische Eigentumsbegriff ist stark gemeinschaftsbezogenen und unterscheidet sich dadurch vom deutschen Eigentumsbegriff.

Spanische Grundrechte der zweiten Klasse, dazu gehört z.B. das Eigentumsrecht, können durch Gesetze eingeschränkt werden. Das geschieht durch das spanische Küstengesetz "Ley de Costas".

Es besteht ein geringerer Schutz des Grundrechts des Eigentums gegenüber den Grundrechten erster Klasse, dazu gehören z.B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf Meinungsfreiheit.
Die von Costas vorbereitete Entscheidung des Ministeriums bezüglich der Grenzziehung der Schutzzonen kann vor den Verwaltungsgerichten überprüft werden (Art. 13 LC).
Unter bestimmten Voraussetzungen können auch vor Zivilgerichten Ansprüche der "Eigentümer" eingeklagt werden (Art. 14 LC).

Der Schutz des spanischen Eigentumsgrundrechts des Bürgers ist im Vergleich zum deutschen Recht also relativ schwach ausgeprägt.
Das zeigt sich auch beim möglichen Rechtsweg.
Bei isolierter Verletzung des Eigentumsrechts besteht z.B. nicht die Möglichkeit einer direkten Verfassungsbeschwerde des einzelnen Eigentümers vor dem Verfassungsgericht.
Das wäre nur dann möglich, wenn neben dem Eigentumsrecht auch Grundrechte der ersten Kategorie verletzt wären.
Das "Ley de Costas" könnte aber als Gesetz dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden. Dieses Recht hätten z.B. die spanische Regierung, der spanische Ombudsmann oder einzelne autonome Regionen. Bisher hat aber kein Berechtigter diese Möglichkeit genutzt.

FAZIT: Der spanische und der deutsche Eigentumsbegriff unterscheiden sich ganz erheblich.
Das müssen betroffene Grunstückseigentümer deutscher Staatsangehörigkeit wohl akzeptieren.

Einige sind schon auf die Idee gekommen, dies auf europäischer Ebene korrigieren zu wollen und machten einen Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention geltend.
Der Eigentumsbegriff der europäischen Menschenrechtskonvention ist weiter als der spanische Eigentumsbegriff.

Spanien ist dieser Konvention beigetreten, man hat jedoch beim Beitritt einen Vorbehalt dahingehend gemacht, dass man keinen stärkeren Schutz des Eigentums zulassen wolle als den, welchen die spanische Verfassung in Artikel 33 definiert.
Aus Gründen der europäischen Menschenrechtskonvention könnten daher wohl auch keine Ansprüche betroffener deutscher Grundstückseigentümer mit Erfolgsaussicht geltend gemacht werden.

Häufig wird auch geltend gemacht, es handele sich um Verstöße gegen das Rückwirkungsverbot, weil Häuser betroffen werden, die schon vor Geltung des Gesetzes rechtmäßig errichtet wurden.
Damit hat sich der Oberste Gerichtshof Spaniens im vergangenen Jahr kurz beschäftigt und ganz in der Tradition spanischer Sozialpflichtigkeit festgestellt, es sei anerkannt, dass das Rückwirkungsverbot durch Gründe des Gemeinwohls außer Kraft Gesetzt sein könne.

Da sind die ganz pragmatisch.

Aus Regierungssicht muss man sicher feststellen, dass bei den unsäglichen Zuständen an spanischen Küsten wohl nur eine eisenharte Umweltschutz- und Sozialpflichtigkeitsstrategie den Sumpf aus Korruption und Grundstücksspekulation in den Griff bekommen kann, der das Land existenziell bedroht.

Vielen hat es die Geschäfte verhagelt und viele "gutgläubige" Käufer haben ein Haus gekauft, sind aber nicht mehr Eigentümer dieses Hauses. Soweit es Bestandschutz genießt, können sie darin zumindest bis zu 60 Jahren wohnen oder es vermieten. Ausbau und Weiterverkauf sind aber ausgeschlossen. So bleibt häufig auch für die Käufer eine möglicherweise erstrebte Wertsteigerung aus bzw. das Grundstück verliert erheblich an Wert.

Mit möglichen Ansprüchen der betroffenen Grundstückseigentümer gegen ihre Vertragspartner (private Verkäufer) bzw. Gemeindebehörden sowie interessanten Fallbeispielen beschäftige ich mich in Teil 4.